U MAG Jahresrückblick 2020: Über 1.000 Fahrtkilometer pro Woche hatte Primo Lursini irgendwann satt - was die Corona-Pandemie mit dem Umzug des GFL-Trainers nach Schwäbisch Hall zu tun hat und warum das Glas heute öfter halb voll ist.

 

Als in der Frankfurter Commerzbank-Arena die letzten Sekunden von der Uhr rinnen und die Braunschweig NewYorker Lions als Deutscher Meister 2019 feststehen, hat Primo Lursini in der Unicorns-Teamzone angesichts der 7:10-Niederlage einen dicken Kloß im Hals. Doch nur wenige Sekunden nachdem der Schiedsrichter den Ball zum Spielende in die Höhe gereckt hat, übertönt ein lautes Echo den Braunschweiger Jubel: „Gefühlt hat das gesamte Stadion ‚It’s all about the U‘ gerufen“, erinnert sich der Outside Linebacker-Coach, für den in diesem Gänsehaut-Moment feststeht: „So kann ich nicht aufhören!“ Ein gutes Jahr später sitzt Lursini in seiner frischbezogenen Wohnung in Schwäbisch Hall, als er seine Geschichte erzählt.

 

Dabei war der Plan ein anderer, als der in Frankfurt beheimatete Primo Lursini 2018 das Coaching bei den Unicorns beginnt. „Ich hatte mal den Gedanken im Hinterkopf, dass ich maximal ein, zwei Jahre pendle, dabei einen Ring gewinne und dann die Football-Karriere an den Nagel hänge.“ Im August 2017 nimmt er erstmals die Fahrt nach Schwäbisch Hall auf sich, um sich das Topspiel gegen Frankfurt anzusehen. Als Johannes Brenner ihm nach der Partie zuruft: „Lass uns nach der Saison mal quatschen“, weiß der auf die Defense spezialisierte Coach, worauf der Haller Defensive Coordinator hinauswill und ist sich erst einmal sicher: „Ich fahre doch keine zwei Stunden zum Training nach Hall, um zu coachen…“ Schließlich ist es gemeinsam mit Jonny Brenner - für Lursini „einer der besten Trainer Deutschlands“ - Lebensgefährtin Christine, welche die Einstellung entscheidend ändert. Sie spricht ihm Mut zu und versichert: „Das schaffen wir schon!“ Als der Hawaii-Urlaub anlässlich seines 40. Geburtstags im November 2017 kurz bevor steht, sagt er als Linebacker-Coach in Schwäbisch Hall zu.

 

Kurz darauf beginnt der Pendel-Wahnsinn: Um Punkt 16.30 Uhr verlässt der Facility Manager mittwochs und freitags das Büro, um gegen 19.30 Uhr auf dem Trainingsplatz zu stehen - pro Woche kommen über 1.000 Fahrtkilometer zusammen und vor 1 Uhr fällt er nur selten ins eigene Bett. Es überrascht nicht, dass Primo Lursini rückblickend sagt: „Ich habe die A6 hassen gelernt!“ Gut, dass er im Ärger über Baustellen, Stau oder Umleitungen mit den Spielern Joshua Haas und Jannis Fiedler zwei Mitstreiter zur Seite hat, welche während der langen Stunden im Auto für gute Laune sorgen. Und auch den einen oder anderen müden Arbeitstag im Anschluss an lange Trainingsnächte weiß er zu kompensieren. „Die Arbeit mit den Jungs hat immer so viel Spaß gemacht. Jeder hat seinen Anteil beigetragen - das hat jede Menge Energie und Kraft gegeben und für alles entschädigt.“ Und am Ende seiner ersten Unicorns-Saison mit unzähligen Pendelfahrten zwischen Frankfurt und Schwäbisch Hall steckt dann tatsächlich ein Ring am Finger - für Primo Lursini ist die deutsche Meisterschaft indes nur „eine Begleiterscheinung der ganzen intensiven Arbeit“, die alle Beteiligten investieren.

 

Es ist aber nicht nur der glitzernde Meister-Ring, den der Trainer seinem Engagement in Hohenlohe zu verdanken hat: „Die Unicorns haben mir die Liebe zum Spiel zurückgegeben“, betont Primo Lursini, der zuvor noch ans Aufhören gedacht hatte und nun wieder Feuer und Flamme für den Sport ist. Und der nun deutlich öfter positiv zu denken weiß. „Für mich war das Glas immer halb leer - bis ich die Unicorns-Coaches getroffen habe. Das Leben ist so viel einfacher, wenn man es positiv angeht“, hat Lursini gelernt. Die Wesensänderungen ihres Lebensgefährten bleiben für Christine nicht unbemerkt: „Die Unicorns haben so viel Gutes für dich bewirkt.“ Und so kommt im Verlauf des Jahres 2019 der Gedanke auf, dem Pendeln ein Ende zu setzen. „Ich hatte langsam keine Lust mehr auf Fahren, wollte das Coachen bei den Unicorns aber auch nicht sein lassen.“ Also führt nur ein Ausweg aus der Zwickmühle: Der Umzug ins schöne Schwäbisch Hall.

 

Noch weiter in den Süden also für die beiden gebürtigen Hamburger, die eigentlich mal eine Rückkehr in ihre Heimatstadt angestrebt hatten. „Aber das Wetter hat uns abgeschreckt“, so Lursini lächelnd, der in der Hansestadt früh seine Leidenschaft fürs braune Lederei entdeckte. Schon mit 14 Jahren schnupperte er im Hamburger Stadtpark erste Football-Luft, bevor er bereits mit 18 seine Coaching-Karriere bei den Hamburg Pioneers startete und diese später bei den Blue Devils fortführte. Auch ein paar aktive Football-Jahre hat Primo Lursini auf dem Buckel. Doch eine schwere Verletzung bedeutete letztlich das frühe Karriereende und den Fokus auf das Coaching, das in Flensburg und nach dem studienbedingten Umzug nach Mainz in Wiesbaden weitergeht. Linebacker Coach, Defensive Coordinator, Head Coach der U19: In seinen zehn Jahren bei den Phantoms durchläuft Lursini sämtliche Stationen, wobei vor allem die Verteidigung zur großen Liebe reift. Mit seiner anderen großen Liebe Christine lässt er sich in dieser Zeit im Hessischen nieder und arbeitet in der Reisebranche. Als Facility Manager verwaltet er europaweit bis zu 20 Standorte, doch Home-Office ist tabu, sodass der Weggang aus Frankfurt erst einmal unmöglich erscheint - jedenfalls, bis zum Beginn der Corona-Pandemie.

 

Wie in vielen anderen Unternehmen wird auch in Lursinis Firma festgestellt, dass die Arbeit aus dem Home-Office genauso gut erledigt werden kann - und schon beginnt die Wohnungssuche in Schwäbisch Hall. Im September 2020 tritt Primo Lursini schließlich die vorerst letzte Fahrt von Frankfurt in Richtung Süden an. Das Ziel: Schwäbisch Hall - Breiteich, wo er mit Christine eine neue Heimat findet. Die ersten Kleinstadt-Erlebnisse lehren die Beiden, dass man an einem Samstagnachmittag in der Innenstadt schon mal vor geschlossenen Läden stehen kann. Auch wenn die Geschichte jetzt schon eine beliebte Anekdote bei der Familie ist: Die Beiden gewöhnen sich schnell an die neue Umgebung und lernen insbesondere die Natur zu schätzen. Ob Einkorn oder Lembergwald: Ausgedehnte Spaziergänge mit Windhund Aius gehören zum festen Wochenendprogramm - auch, weil Football dank Corona erst einmal eine Pause einlegen muss. Umso mehr freut sich Primo Lursini über die Einladung von Jordan Neuman, den Coaching Staff der UNICORNS ACADEMY zu verstärken: Zweimal die Woche kümmert er sich um die jüngsten Academy-Mitglieder, trainiert sie - zumindest außerhalb des Lockdowns - auf dem Platz und analysiert mit ihnen im Klassenzimmer NFL-Spiele.

 

Und 2021? Der Neu-Haller hofft auf eine stückweise Rückkehr zur Normalität. „Jetzt bin ich in Schwäbisch Hall und will den Football endlich wieder voll und ganz zurück haben.“ Vom Rumalbern im Training bis zur gewohnten Pizza in der TSG Stadiongaststätte danach: Es fehlt etwas! Und natürlich will der LB- Coach mit seinem Team auch wieder Erfolge feiern - das bedeutet für ihn nicht nur Titel zu gewinnen, sondern auch die eigenen U19-Spieler zu etablierten, GFL- und vielleicht sogar Nationalmannschafts-Spielern zu entwickeln. So bleibt zu hoffen, dass für Primo Lursini und die Schwäbisch Hall Unicorns 2021 endlich wieder ein „It’s all about the U“ durch das Stadion schallt.

 

   
   
Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. Datenschutzinformationen